Das menschliche Dilemma – die Faulheit des Gehirns
Unser Gehirn ist dafür da, unserem Leben und allem, was geschieht, Bedeutung zu verleihen. Unser Gehirn bewertet und denkt immer. Und es versucht beständig, uns am Leben zu erhalten. Es greift dafür auf die Informationen zu, die es aus der Vergangenheit schon besitzt, und nutzt die Informationen, die es durch die Sinnesorgane bekommt. Aufgrund dieser Informations-Mischung versucht unser Gehirn, eine gute Entscheidung für unser Überleben zu treffen.
Letztlich geht es dabei so kraftsparend wie nur möglich vor, denn das Gehirn ist zwar klein, verbraucht aber 20 % unserer Energie. Alles, was wir tun, denken und fühlen, hat für uns metabolische Kosten.
An Kosten denken wir in diesem Kontext normalerweise nicht, aber unser Körper muss in einem metabolischen Gleichgewicht gehalten werden, damit alles funktioniert. Werden die Kosten an bestimmten Stellen zu hoch, z.B. durch unsere traumatische Vergangenheit, so haben Menschen eben nicht nur psychische Symptomatiken, sondern oft auch physische. Selbstregulation hat nicht nur eine psychische Bedeutsamkeit, sondern vor allem auch eine physiologische.
Interessanterweise werden inzwischen fast alle schweren Krankheiten unserer Gesellschaft als Folge des sogenannten Metabolischen Syndroms gesehen.
Da das Gehirn also immer Energie sparen will, neigen wir als Menschen dazu, nicht mehr in Frage zu stellen, was wir einmal gelernt oder als wahr abgespeichert haben.
Oftmals ist es uns nicht mal bewusst, dass das so ist.
Die Bedeutung von Fragen
Vieles ist uns so selbstverständlich, dass wir gar nicht darauf kommen, dieses Wissen in Frage zu stellen. In einer Gesellschaft, die geflutet wird von Informationen, die uns vollkommen überfordern, müssen wir wieder lernen, Fragen zu stellen - und dies auch unseren Klientinnen wieder beibringen.
Viele Menschen können nicht mehr kritisch denken und auch keine kritischen, aber offenen Diskurse führen (hart in der Sache – weich zu dem Menschen).
Wir können dieser biologischen „Faulheit“ entgegentreten, indem wir uns selbst und unsere Klienten öfter mal fragen:
- Woher weiß ich das eigentlich?
- Woher weiß ich, dass etwas wahr oder falsch ist?
- Warum glaube ich das?
Diese Fragen helfen uns, in unserem Kopf aufzuräumen und dabei auch zu lernen, anderen diese Fragen zu stellen. Auch im Internet sollten unsere Klienten (und wir) fragen: Woher kommt diese Information? Worauf beruft sich da jemand und welche Expertise hat die Person?
In meiner Recherche über Gedanken, bin ich z.B. in vielen Artikeln darauf gestoßen, dass wir als Menschen ca. 60.000 Gedanken haben. Nur gibt niemand eine Quelle an. Es stellte sich heraus, dass es lediglich ein Mythos ist, es gibt – meiner Recherche nach – keine wissenschaftliche Quelle, die das belegt.
Und auch die Geschichte von dem Frosch, der nicht aus dem Topf springt, wenn das Wasser langsam erhitzt wird, und dann quasi verkocht und stirbt, ist nicht wahr, sondern nur eine Geschichte.
Als Menschen verirren wir uns leicht in unserem Kopf
Einige unserer Klienten sind anderen Menschen gegenüber so misstrauisch, dass sie sich nur auf sich selbst beziehen. Ich nenne dieses Verhalten selbstreferentiell.
„Selbstreferenzielle Systeme sind „operational geschlossen“. In ihren Prozessen beziehen sie sich nur auf sich selbst und greifen nicht in ihre Umwelt hinaus.“ Wikipedia
Diese Klienten nehmen von uns nur die Dinge an, die ihren eigenen Überzeugungen entsprechen. Hier ist es wichtig für uns und den therapeutischen Prozess, mutig zu sein und diese Überzeugungen immer wieder in Frage zu stellen. Auch wenn das bedeutet, aus der Harmonie auszusteigen und nicht mehr nur bestätigend und nett unterstützend zu sein.
In einem Interview von Mark Manson mit Lori Gottlieb, der bekannten Therapeutin und Autorin des Buches 'Vielleicht solltest du mal mit jemandem reden', sagt sie sinngemäß: Wenn sie hört, dass jemand seine TherapeutIn wie einen guten Freund beschreibt und wie toll es seit Jahren dort in der Therapie sei, dann wüsste sie, dass da etwas falsch läuft.
Wir sind nicht die Freundinnen oder Freunde unserer Klientinnen
Manchmal frage ich Klienten, die auf ihrer Sichtweise beharren, warum sie hier sind und ob sie mir überhaupt die Ermächtigung geben, mit ihnen zu arbeiten? Unter Ermächtigung verstehe ich, anzuerkennen, dass jemand anderes vielleicht gerade mehr sieht oder etwas besser weiß, als ich selbst.
Gerade Menschen, die stark externalisieren – also die Gründe für ihr Unglück im Außen suchen (und natürlich immer finden), frage ich gerne, warum ihr Leben dann nicht voller Glück und Zufriedenheit ist, wenn sie doch alle Antworten haben.
Ich erinnere mich an ein Erstgespräch mit einem jungen Mann, der andere Menschen nicht anschauen konnte und keine Beziehungen und auch keine Freundschaften hatte. Er schaute immer knapp an mir vorbei und tat das auch mit allen anderen Menschen. Im Laufe des Gesprächs stellte sich dann heraus, dass er will, dass andere Menschen kapieren, wie blöd und invasiv dieses „Angegucke“ doch ist. Er war unendlich wütend, weil die Menschen offensichtlich alle etwas tun, was für ihn unangenehm und auch sinnlos war.
Ich versuchte ihm zu sagen, dass es menschlich ist und zu Kontakt und vor allem auch zu intimeren Kontakten dazu gehört, dass man sich in die Augen und ins Gesicht schaut. Und dass die einzige Person, die er hier in der Therapie verändern könne, er selbst sei. Dass er anscheinend diese Art von Nähe nicht gelernt habe und es in seiner Geschichte liege, dass er heute dieses Problem hat. Er verließ die Praxis noch wütender als er gekommen war.
Gerade Menschen, die die Probleme und die Lösung im Außen sehen, versuchen oftmals inneren Schmerz abzuwehren. Solange man glaubt, die Situation oder das Geschehene verändern zu können, solange muss man sich nicht damit auseinandersetzen, wie es sich anfühlt, das so zu erleben oder erlebt zu haben.
Wut ist ein sehr viel selbstermächtigenderes Gefühl als Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Trauer und Schmerz. Außerdem wird durch Wut oft die Illusion der Veränderbarkeit aufrechterhalten, selbst bei Situationen, die längst in der Vergangenheit liegen.
So erleben wir manchmal, wie Menschen endlos über ihre Partner/Partnerinnen - oder andere Dinge und Menschen - sprechen und was diese tun oder nicht tun bzw. getan oder nicht getan haben. Sie beschreiben, worunter sie leiden und wie diejenigen ihrer Meinung nach sein sollten.
Meine Therapeutin hat das damals so gelöst, dass sie mir 5 Minuten gab, um über andere zu sprechen, danach nur noch über mich selbst.
Ich musste damals erst lernen, wie oft ich über andere sprach, wenn ich dachte, dass ich doch über mich und mein Befinden spreche.
Unser Gehirn macht sich nicht die Mühe, Überzeugungen zu überprüfen
Unser Gehirn ist ein unendlicher Raum, in dem alles möglich ist und wir uns schnell in aberwitzigen Überzeugungen und Gedanken über uns selbst, andere oder das Leben verfangen können. Solange wir diese Dinge nicht in die Welt bringen und sie den Test der Realität überstehen, können wir an Dingen festhalten, die vollkommen absurd sind. Einfach, weil unser Gehirn sich nicht die Mühe macht, diese Überzeugungen weiteren kritischen Fragen zu unterziehen.
Leider sind wir als Menschen dazu fähig, Dinge zu kompartmentalisieren, also eine Trennung einander widerstreitender Gedanken, Emotionen oder Handlungen vornehmen
zu können. Je mehr Menschen dies tun, desto dissoziativer sind Menschen oft. Es kann wichtig sein, das genauer zu beobachten.
Aus diesem Grund mag ich Serien wie „Ninja Warrior“. 😃 Dort kommen keine Leute an, die nur von sich überzeugt sind, wie sportlich sie sind – einfach, weil diese Überzeugung schon im Vorfeld von der Realität eingeholt wird.
In unserer heutigen Welt sind wir oft so virtuell unterwegs, dass uns die Konfrontation mit der wirklichen und echten Realität fehlt und viele ihr Leben nur noch über den Kopf wahrnehmen.
Ich selbst übe gerade „Primal Movements“ und sehe meine eigene Vorstellung davon, wie sportlich ich noch bin, in viele Scherben zerfallen. 😃 Ich fange an, mein Alter zu realisieren und das gibt einige blaue Flecke in meinem Selbstbild. Aber es macht auch Spaß – auch wenn ich bei Schwierigkeitsstufe minus Drei anfange.
In Studien wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Menschen, die sich bewegen und herausfordern, glücklicher und selbstbewusster sind. Und vor allem: Bewegung zähmt unser Denken wie nichts anderes.
(Dieser Text stammt von Dami Charf)
Und das kommt von mir: Es ist Frühling. Geh hinaus und genieße die Natur in vollen Zügen! 🌸🌷🌺
Herzliche Grüße
Isabella